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Anmerkungen zu den neuen Normen für den Umgang mit Privatoffen-barungen.

Aktualisiert: 11. Juni

Am 17. Mai veröffentlichte der Heilige Stuhl neue Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmasslicher übernatürlicher Phänomene, unterzeichnet von Kardinal Victor Manuel „Tucho“ Fernández und gebilligt von Papst Franziskus.[1] Seit diesem Tag existiert das gesicherte Urteil der Kirche, dass ein Phänomen eindeutig übernatürlichen Ursprungs ist, nicht mehr. 



Die Kirche scheint sich seit dem 17. Mai nicht mehr zuzutrauen, ein sicheres Urteil in Bezug auf den übernatürlichen Ursprung eines Phänomens abgeben zu können. Grundsätzlich aber steht sie solchen Phänomen offen gegenüber. Dazu schreibt Kard. Fernández in seiner Präsentation:

 

"Gott ist gegenwärtig und handelt in unserer Geschichte. Der Heilige Geist, der dem Herzen des auferstandenen Christus entspringt, wirkt in der Kirche mit göttlicher Freiheit und gewährt uns viele kostbare Gaben, die uns auf unserem Lebensweg helfen und unser geistliches Reifen in Treue zum Evangelium fördern. Dieses Wirken des Heiligen Geistes schliesst auch die Möglichkeit ein, unsere Herzen durch bestimmte übernatürliche Ereignisse zu erreichen, wie Erscheinungen oder Visionen von Christus oder der Heiligen Jungfrau und andere Phänomene. Oft haben diese Ereignisse einen grossen Reichtum an geistlichen Früchten, an Wachstum im Glauben, an Frömmigkeit und Geschwisterlichkeit und Dienstbereitschaft hervorgebracht und in einigen Fällen sind dadurch verschiedene Wallfahrtsorte über die ganze Welt verstreut entstanden, die heute zu einem Kernteil der Volksfrömmigkeit vieler Völker geworden sind."[1]


Dem ist vollumfänglich zuzustimmen. Kritiker aber sehen in dem Dokument «einen Versuch, Gottes sichtbares Eintreten in die natürliche Welt unterbinden oder zumindest „an die Leine“ legen zu wollen.» (Giuseppe Nardi).[2] Fernández hingegen beteuert, es gehe in dem Dokument weder um Kontrolle noch darum, den Geist auszulöschen.

 

Bei der Unterscheidung des Geistes gilt die allgemein akzeptierte Wahrheit, dass alles, was von Gott empfangen wird, entsprechend der Eigenart und Fassungskraft des Empfängers aufgenommen und verstanden bzw. wiedergegeben wird (Thomas von Aquin). Deshalb braucht es bei übernatürlichen Phänomen die Begleitung durch die Kirche, um eventuell Schaden von den Gläubigen abzuwenden, sollten solche Phänomene nicht übernatürlichen Ursprungs sein oder sich Fehler einschleichen bei der Wiedergabe oder Interpretation solcher Offenbarungen. Auch soll sektiererischen Dynamiken, die erfahrungsgemäss in diesem Zusammenhang aufkommen können, vorgebeugt werden.. Auch in diesem Punkt ist Kard. Fernández zuzustimmen. Deshalb braucht die Kirche klare Verfahren und Normen, die im Laufe der Zeit optimiert werden können. Um eine solche Überarbeitung (seit 2019) handelt es sich bei den vorliegenden neuen Normen.

 

Grundsätzlich gilt, dass die Gläubigen nicht verpflichtet sind, Privatoffenbarungen zu glauben, da die Offenbarung mit dem Tod des letzten Apostels abgeschlossen ist und die Kirche alles vorlegt, was zu glauben ist. Privatoffenbarungen können diesem Glaubensgut nichts Neues hinzufügen, wohl aber können sie es für eine gewisse Zeit aktualisieren, weshalb die Kirche nicht über solche Phänomene einfach hinweggeht. In vielen Fällen wie z.B. im Fall der Herz-Jesu-Verehrung hat sie solche charismatische Impulse in ihre Liturgie- und Andachtsformen ausdrücklich aufgenommen und für die Gläubigen empfohlen. Das gilt auch für die Erscheinungen der Gottesmutter in Fatima oder Lourdes, um nur zwei weitere prominente Beispiele zu nennen.

 

Bisher hat die Kirche einfach «Ubernatürlichkeit» oder «Nicht-Übernatürlichkeit» aussergewöhnlicher Phänomene festgestellt (constat de superanaturalitate; constat de non-supernaturalitate). Dies geschah vor allem auf der Ebene des zuständigen Diözesanbischofs, auf dessen Territorium bzw. in dessen Zuständigkeitsbereich sich das Phänomen ereignete. Da solche Phänomene durch die mediale Verbreitung und Internationalisierung aber den territorialen Rahmen eines Bistums sprengen und international bekannt und propagiert werden, sieht sich das Dikasterium für die Glaubenslehre in die Pflicht genommen. Auch kritisiert Kard. Fernández, dass nur in relativ wenigen Fällen und erst nach (allzu) langer Zeit ein offizielles Urteil über die Übernatürlichkeit eines Phänomens gefällt wurde.

 

Aus diesem Grund hat das Dikasterium dem Heiligen Vater vorgeschlagen, die entsprechende Untersuchung nicht mit einer Erklärung de supernaturalitate, sondern mit einem «Nihil obstat» abzuschliessen, das dem Bischof gestatten würde, aus diesem geistlichen Phänomen pastoralen Nutzen zu ziehen. Hier denkt man unwillkürlich an Medjugorje als Triebfeder dieser Änderung. Papst Franziskus betrachte dies als eine «gerechte Lösung» (Fernández).[3]

 

Durch den Verzicht auf eine Erklärung der Übernatürlichkeit eines Phänomens, werden Privatoffenbarungen generell herabgestuft auf die Ebene eines «Vorschlags». Der Gläubige kann ihn aufnehmen und in sein Leben integrieren oder nicht. Das aber bedeutet möglicherweise auch eine Relativierung der prophetischen Relevanz einer Botschaft übernatürlichen Ursprungs. Das ist problematisch. Als Rechtfertigung dient dem Kardinal der Umstand, dass solche Urteile über die Übernatürlichkeit oder Nicht-Übernatürlichkeit eines Phänomens in einigen Fällen im Lauf der Zeit revidiert wurden bzw. sich widersprochen haben (vgl. Amsterdam). Hier müsste gefragt werden, wie diese Urteile zustande gekommen sind, oder wie verbindlich sie waren.

 

Der Verzicht auf die Erklärung der Übernatürlichkeit eines Phänomens zusammen mit einem «Nihil obstat» von Seiten der Kirche scheint gemäss der Präsentation des Kardinals den Sensus fidelium stärker zu gewichten. Das Volk spüre selbst das Wehen des Geistes, eventuell unterstützt durch die Gegenwart von Priestern und Bischöfen an solchen Orten, die letztere aber oft gerade deshalb meiden, weil sie von der Kirche nicht offiziell anerkannt bzw. bestätigt sind.

 

Auch fällt auf, dass die Kompetenz für die Beurteilung eines Phänomens durch die neuen Normen eher vom Ortsbischof weg auf das Dikasterium für die Glaubenslehre verlagert wird. Der Bischof kann neu nur noch im Einvernehmen mit dem Dikasterium für die Glaubenslehre ein verbindliches Urteil abgeben. Die neuen Normen sehen vor, dass das Dikasterium in bestimmten Fällen motu proprio eingreifen kann (II, Art. 26) und das Dikasterium sich in jedem Fall das Recht vorbehält, je nach Entwicklung des Phänomens erneut zu intervenieren (II, Art. 22 §3). Das aber sieht nun wirklich nach Kontrolle aus im Gegensatz zur eingangs zitierten Behauptung. Daran ändert nichts, dass sie in schöne Worte gekleidet wird:


«Diese neuen Normen sind nichts anderes als eine konkrete Art und Weise, in der sich das Dikasterium für die Glaubenslehre in den Dienst der Hirten stellt, um auf den Geist zu hören, der im gläubigen Volk Gottes wirkt.»[4]


Es ergeben sich aus den neuen Normen folgende Varianten:

 

1 Nihil obstat. Auch wenn keine Gewissheit über die übernatürliche Echtheit des Phänomens geäussert wird, werden doch viele Anzeichen für ein Wirken des Heiligen Geistes „inmitten“ einer bestimmten spirituellen Erfahrung (an-) erkannt.

2. Prae oculis habeatur. Obwohl wichtige positive Zeichen anerkannt werden, werden auch einige Elemente der Verwirrung oder mögliche Risiken wahrgenommen, die eine sorgfältige Unterscheidung und Dialog mit den Empfängern einer bestimmten geistlichen Erfahrung seitens des Diözesanbischofs erfordern.

3. Curatur. Es werden mehrere oder bedeutende kritische Elemente festgestellt, aber gleichzeitig ist das Phänomen bereits weit verbreitet, und es sind damit verbundene und nachweisbare geistliche Früchte vorhanden. Von einem Verbot, das das Volk Gottes verwirren könnte, wird in diesem Zusammenhang abgeraten.

4. Prohibetur et obstruatur. Obwohl es berechtigte Anliegen und einige positive Elemente gibt, erscheinen die kritischen Aspekte und Risiken als gravierend. Um weitere Verwirrung oder gar einen Skandal zu vermeiden, der den Glauben der Einfachen in Mitleidenschaft ziehen könnte, bittet das Dikasterium daher den Diözesanbischof, öffentlich zu erklären, dass das Festhalten an diesem Phänomen nicht zulässig ist.

5. Declaratio de non supernaturalitate. In diesem Fall wird der Diözesanbischof vom Dikasterium berechtigt, zu erklären, dass das Phänomen als nicht übernatürlich betrachtet wird. Diese Entscheidung muss sich auf konkrete und nachgewiesene Fakten und Beweise stützen.

 

Abschliessend wird daran festgehalten, dass weder der Diözesanbischof noch die Bischofskonferenzen, noch das Dikasterium in der Regel hinkünftig erklären werden, dass diese Phänomene übernatürlichen Ursprungs sind, auch nicht, wenn ein Nihil obstat erteilt wird. Dies gelte unbeschadet der Tatsache, dass der Heilige Vater ein diesbezügliches Verfahren genehmigen könne. Das macht nun doch ein wenig stutzig. Heisst das, dass die Gläubigen im Fall von Medjugorje, um das aktue llste und berühmteste Beispiel zu nennen, auf Godot warten, wenn sie von Seiten der Kirche die Anerkennung der Echtheit der Botschaften erwarten?

 

Das kann man nun bedauern. Es stellt sich die Frage, warum die Kirche gemäss den neuen Normen nicht innerhalb einer nützlichen Frist in der Lage sein soll, die Übernatürlichkeit eines Phänomens festzustellen, sehr wohl aber das Gegenteil (constat de non-supernaturalitate). Und noch eine weitere Frage stellt sich, nämlich ob durch diese Zentralisierung der Autorität in der Beurteilung solcher Phänomene im Gegensatz zur breit propagierten Synodalität und Dezentralisierung der Vatikan nicht Vorkehrungen trifft, einer öffentlichen Kritik seines Agierens von Seiten charismatischer Offenbarungen (Privatoffenbarungen) einen Riegel schieben zu können und Aspekten, die dem eigenen pastoralen Ansatz widersprechen (z.B. Strafandrohungen; vgl. Fatima) entgegenzutreten. Damit aber würde er im Falle der Echtheit solcher Phänomene selbst Gott bzw. dem Hl. Geist ins Handwerk fallen und scheitern. Der vielzitierte sensus fidelium (Glaubenssinn der Gläubigen) wäre stärker!


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